Bin ich alt?
Bin ich alt?
Diese Frage taucht in letzter Zeit immer wieder einmal auf, sei es in
Gesprächen mit etwa Gleichaltrigen oder auch, wie heute Morgen, beim
Öffnen meines E-Mail-Accounts.
Und sie ist ja durchaus relevant, die Frage. Insbesondere wenn es darum geht, ob ich vielleicht zu alt für dies und jenes bin.
Habe ich beispielsweise den Punkt schon erreicht, an dem originell
formulierte Schmeicheleien oder auch augenzwinkernde Scherze mit einem
winzigen Hauch Anzüglichkeit gegenüber jungen Damen nicht mehr
unterhaltsam, humorvoll und vielleicht gar ein bisschen anziehend
wirken, sondern mich wie einen wunderlichen Lustgreis aussehen lassen?
Das Problem an der Sache: Ich finde keine eindeutige Antwort.
Sicher ist nur: Ich habe noch kein Haus gebaut, soweit ich weiß kein Kind gezeugt, und
der Glücksklee auf dem Fensterbrett zählt vermutlich auch nicht als
Baum. Ich muss also noch jung sein - oder ich bin bereits meilenweit am handelsüblichen Plan für ein Männerleben vorbeigerauscht.
Man sei so jung wie man sich fühle, heißt es. Wenn das ein Indiz sein könnte: Physisch fühlte ich mich schon mal jünger... damals...
Allerdings: Mein Körper mag so langsam dem Verfall entgegenschlittern, mein Geist
aber fühlt sich immer noch wohler in der Gesellschaft studentischer
Ausgelassenheit als bei Kaffee und Kuchen mit Kinderbetreuung.
Meinen Geburtstag feiere ich nach wie vor jedes Jahr etwa genauso wie
mit Mitte zwanzig - nur dass die meisten Gäste mittlerweile früher ins
Bett gehen. Die Ausschweifungen mögen heute nachhaltigere Spuren
hinterlassen, aber wenigstens bin ich darüber hinaus, mit
schmerzverzerrtem Gesicht und brüchiger Stimme zukünftige Abstinenz zu
schwören. Ich bin alt genug, um zu wissen: Es geht vorbei. Und ich bin
jung genug, um es nächstes Mal wieder zu tun.
Dazu kommt, dass viele meiner Einstellungen irgendwo in den Neunzigern hängengeblieben sind, dass ich der Letzte aus einem langhaarigen Schuljahrgang bin, der seine Frisur immer noch ein wenig wallen lässt, dass ich T-Shirt, Kapuzenpulli und nicht zwingend vollständig intakte Jeans nach wie vor dem Anzug und erst recht der Krawatte weit vorziehe...
Bin ich also jung geblieben?
Oder bin ich einfach nur verzweifelt?
Bin ich nun alt oder nicht?
Das ist sie, die Frage.
Und dann öffne ich heute Morgen meinen E-Mail-Account und sehe zwei Angebote für einen maßgeschneiderten Treppenlift.
Ich werde mir wohl die Haare abrasieren, einen langen grauen Mantel kaufen, einen passenden Hut dazu aufsetzen und Enten füttern gehen.