das Schwinden der Identifikationsfiguren
Wo sind sie eigentlich alle hin, die Charaktere, die mit Haut und Haar für das stehen, was sie anpreisen?
Nein, das wird keine stammtischtaugliche Politiker-Schelte. Ich spreche von der Werbung.
Und ich meine nicht die Prominenten, die für einen Haufen Geld so tun,
als würden sie das Produkt, für das sie irgendein Gesicht machen oder
mal eben hin und her laufen, tatsächlich selbst jemals benutzten und im
schlimmsten Fall sogar etwas dabei sagen (Steffi Graf: "Der Beginn einer
kochenden Leidenschaft." Nie wurde ein Satz wie dieser ähnlicher einem
paar eingeschlafener Füße dahergegähnt.)
Ich spreche auch nicht von angeblichen Koryphäen, die mit Vornamen "Dr." und mit Nachnamen irgendwie heißen, was unten eingeblendet wird, aber keinen interessiert, weil schon der Kittel aus dem Kostümverleih, die Brille in der Hand und das völlig unsinnige Fantasie-Diagramm zum Draufzeigen ausreichend vorschlaghammermäßig vermitteln, dass sie die Kompetenz besitzen, zum Kauf des richtigen Produkts zu raten.
Ich spreche von einer Spezies Werbefiguren, wie es sie - kürzlich bei
gemeinsamem Rätseln mit kompetenten Gesprächspartnern festgestellt -
heute so gut wie gar nicht mehr gibt. Diejenigen nämlich, die alleine
für das Produkt, ja, wegen des Produkts und durch das Produkt überhaupt
existieren, die es repräsentieren mit Haut und Haar und in Fleisch und
Blut (nicht wie ein gezeichnetes Maskottchen à la extrem schlecht
reimende Waschperlen-Schlauberger-Fuchs-Nervensäge).
Kaum einer, der sich nicht in nerdiger Art mit unnötigem Wissen
belastete, wusste, wer die Schauspieler waren, und man wollte es auch
gar nicht wissen.
Tilli war beispielsweise einfach Tilli, die Handpflegerin, die ihre
Kunden mit leichten Schlägen dazu zwang, ihre Hände in
Geschirrspülmittel... Entschuldigung, in Palmoliv zu baden.
Klementine, die rüstige Hausfrau, die mit Nachdruck befahl, Ariel in den
Hauptwaschgang zu schütten, hatte ihren Namen gar auf die Latzhose
gestickt.
Und wer würde nicht gerne mal, wenn er ein Problem hat, einfach nur
"Hallo, Herr Kaiser!" rufen? Der Versicherungsvertreter der
Hamburg-Mannheimer war jeden Tag einer kleinen Fee gleich unterwegs, um
den Leuten mit einigen freundlichen Worten all ihre Sorgen zu nehmen. Er reagierte nicht einmal dann gereizt, wenn er beim mittäglichen
Currywurstverzehr von Kunden mit dämlichen Fragen belästigt wurde.
Unterwegs war auch Frau Antje, unentwegt hin und her, um den ganzen Käse aus Holland rüber zu schaffen. Und das auf Holzclogs!
Oder, ach ja, der Melitta-Mann! Er ließ uns Einblick nehmen in sein
Leben, in all die kleinen Anekdötchen aus dem Alltag, die sich sämtlich
in Wohlgefallen auflösten, presste man letztendlich nur den Filterkaffee
durch die richtigen Tüten.
Hier erleben wir den Gipfel der Produkt-Identifikation: Seine Tochter
spielte wohl mal in einer Soap mit; niemand außerhalb des engsten
Fan-Kreises wusste, wie sie hieß, aber man wusste: Sie war die Tochter
vom Melitta-Mann.
Hat diese sehnsuchtsvolle Aufzählung jetzt noch eine Pointe? Nö. Ich
frage mich nur, warum es solche jedermann bekannten
Sympathieträger-Figuren in der Werbung heute nicht mehr gibt. Oder weiß
jemand, wie dieser dreiste Blender heißt, der angeblich alle Anliegen
der 1&1-Kunden innerhalb eines Tages persönlich bearbeitet?
Eben.