"Ich komme aus Berlin!"

01.09.2012
von der "alten" Timbo-Seite
von der "alten" Timbo-Seite

.​.​.​sagt er, und dann folgt eine kurze Pause, begleitet von leichtem Nicken, das sagt: "Doch! Ja! Echt! Wahnsinn, oder?​" Und dazu dieser Blick, der erwartet, dass der Gegenüber jetzt klatscht oder in Ohnmacht fällt oder zumindest betreten die Augen niederschlägt, weil er im Schatten des Hauptstadtbewohners der eigenen Provinzialität gewahr wird.

Passiert nur mir das immer wieder mal?
Nein, habe ich inzwischen erfahren. Es ist vielmehr offenbar unter in Berlin lebenden Leuten eine außerordentlich weit verbreitete Annahme, dass in Berlin zu leben ein Markenzeichen sei, das einen per se über die Bewohner der Restrepublik erheben würde.

Am schlimmsten sind dabei noch nicht mal die „"echten"“ Berliner. Nein, es sind die, die von irgendwo nach Berlin gezogen sind. Ist ja schön, wenn es ihnen dort gefällt. Nur: davon reden sie gar nicht. Stattdessen gebärden sie sich, als sei der Umzug eine bejubelnswerte Leistung. Okay, da steckt schon Arbeit dahinter, aber auch nicht mehr, als wenn man den Wohnsitz beispielsweise nach Köln oder Wurzen an der Gump verlegt. Aber scheinbar gibt es nur in Berlin diesen vermeintlichen Schub für die Persönlichkeit. Nur wer nach Berlin geht, kann seine Herkunft abstreifen wie eine Haut, die seit jeher das eigene Wesen eingeengt hat, und über Nacht auf einer höheren Daseinsebene neu geboren werden.

Womöglich liegt die Ursache dafür in dem Gefühl, Berlin, diese kulturell, politisch und überhaupt bebende Metropole in Mitteleuropa, färbe vom ersten Moment an auf seine Einwohner ab.
Nur, liebe (Neu-)Berliner, dieses Gefühl trügt! Ihr seid die gleichen Glotzer wie vorher auch!
Und so wenig, wie sich Oberbayern - die Zweitplatzierten in der Arroganz-Rangliste - damit brüsten können, das Geröll für die Alpen selber zusammengeklebt zu haben, dürften die meisten von Euch irgendetwas Nennenswertes dazu beizutragen haben, dass Berlin ist, was es ist.
Wird man denn selbst zum Popstar oder Frauenschwarm, wenn man auf ein Robbie-Williams-Konzert geht? Nein? Eben. Sonst würde ich es vielleicht sogar mal tun. Oder eben nach Berlin ziehen.

Mal ehrlich: Sind nicht die meisten von Euch nur Teil der riesengroßen „"war auch da"“-Fraktion? Einer von 1000 Partygästen hier, einer von 5000 Konzertbesuchern dort? Einer der Millionen Hauptstadtflair-Konsumenten, deren persönliche Gegenwart für etwas mehr als 99% der Anwesenden überhaupt keine Rolle spielt, Hauptsache, der Laden ist mit IRGENDWEM voll?

Na und?​!​? Das macht doch nichts!​!​! Wer’'s mag - auf, auf! Nix wie hin! Genießt das Angebot in vollen Zügen!
Nur, Ihr Lieben, seid stets folgender Tatsache in Demut eingedenk: Die allermeisten von euch spielen weder FÜR noch IN noch DURCH Berlin irgendeine Rolle. Berlin ist Berlin, ihr seid ihr, und diese beiden Umstände färben in aller Regel nicht im Geringsten aufeinander ab.
Sollte Euch trotzdem irgendein alleine auf der Anschrift beruhendes Überlegenheitsgefühl anwandeln, so setzt Euch am besten still in eine Ecke und wartet, bis es vorbei ist.