Jahreswechselstress
Ich verschreibe mich noch einige Wochen gelegentlich beim Datum.
Mehr ist eigentlich nicht dran an dem Ganzen, weshalb der wieder und wieder zelebrierte Trubel mich irgendwie anstrengt.
Nein, es ist nicht einfach, ruhig und gediegen ins nächste Jahr zu
rutschen. Vor allem, weil - verlässlich wie im September die ersten
Weihnachtsartikel im Supermarkt feil geboten werden - spätestens im
November der nicht enden wollende Reigen von "Was machst'n an
Silvester?"-Fragern vorbei zu tanzen beginnt. "Mal schauen," antworte
ich fleißig, stets darum bemüht, so zu wirken, als wäre ich noch auf der
Suche nach dem ultimativ besten Angebot.
In Wirklichkeit weiß ich schon jetzt, was auch nächstes Silvester
passieren wird: Ich werde in einer kleinen, gemütlichen Runde mit
Verweigerern und/oder Übriggebliebenen sitzen, weit weg von aller
kalendarisch vorgegebenen Exaltiertheit. Und ich werde mich prima
fühlen.
Wenn schließlich um Mitternacht allenthalben die Nächstenliebe ausbricht
(endlich wildfremde Frauen abschlecken!) und stimmungsvoller Lärm und
Rauch die Straßen erfüllen - Höhepunkt dessen, was sich bis dahin nur
durch jugendliche Randalierer ankündigte, die glücklich jauchzend
Mülleimer, Briefkästen und Auspuffrohre sprengten - wenn er also da ist,
der Jahreswechsel, wird mal ein feierlich-verhärmter Blick aus dem
Fenster geworfen.
Dann wieder hinsetzen und weitermachen.
Wo waren wir gerade?
Ach ja, Bleigießen...
Doch! Ja! Wirklich! Eine Verkettung unglücklicher Umstände zwang mich und die letztjährige Ignorantenrunde tatsächlich zur Pflege dieses Brauchtums. Unroutiniert, wie wir waren, saßen wir am Ende durchweg mit kaulquappen- oder spermienförmigen Gebilden in der Hand herum und diskutierten bislang verheimlichte Familienplanungen, die sich zu Neujahrsvorsätzen auswuchsen...
Oh ja, Neujahrsvorsätze. Schließlich muss immer irgendwas anders werden
im neuen Jahr. Jedes Jahr. Silvester für Silvester werden wir so Schritt
für Schritt bessere Menschen, leben gesünder, sehen weniger fern,
vergessen keinen Geburtstag mehr, spülen freiwillig ab, übernehmen
Patenschaften für norwegische Wale, nähern uns der Perfektion. Alle
miteinander. Jawohl.
Ebenso verlässlich trifft allerdings schon im Januar die Erkenntnis ein,
dass der Weg zum Paradies auf Erden voller abspülender Nichtraucher
noch weit ist. Neujahrskater essen Vorsätze auf.
Womöglich gilt hier einfach der olympische Gedanke. Wie für das ganze Spektakel überhaupt. Hauptsache dabei.
>>>>>>Epilog (15.02.2012):
Obiger Text hat in seiner Urform einige Jahre auf dem Buckel, allerdings
nichts an Aktualität verloren. Dennoch muss ich an zwei Stellen eine
Anmerkung aus heutiger Sicht anbringen:
1. Dass man womöglich langsam alt wird, merkt man daran, dass einem kein
Mensch mehr die Frage "Was machst'n an Silvester?" stellt. Ich fühlte
mich vergangenes Jahr deshalb irgendwie... leer. Was bringt das
Silvester-Ignorieren, wenn es ohnehin die einzige Chance ist? Was hilft
die Sitzblockade, wenn eh keiner durch will? Also, bitte: fragt mich
dieses Jahr wieder. Danke!
2. Bleigießen ist Kult! (inzwischen)